Werkraum Warteck pp
Foto: Michèle M. Salmony Di Stefano
Pressetext
Giovanni Di Stefano
Eventualistisches Projekt:
IN:
StopandGo
Werkraum Warteck pp
Burgweg 15, 4058 Basel
25. – 28. Juni 2001
I. Das Projekt
1. Die Theorie
Die Eventualistische Theorie trennt die ästhetische Erfahrung in drei Phasen:
Stimulus (Aufgabe), Ereignis (evento) und Dokumentation des Ereignisses (z. B. Bild). In diesem Projekt hat das Publikum die Möglichkeit, jede der drei Phasen beobachten und/oder selber ausprobieren zu können.
2. Die Aufgabe (Stimulus)
Die Ausführenden erhalten die Aufgabe, mit verbundenen Augen eine weisse Bildfläche mit aneinander liegenden Quadraten von 10×10 cm mit einem Grafit-Stift komplett auszufüllen.
Eine perfekte Ausführung dieser Aufgabe entspräche einem monochromen Bild bestehend aus schwarzen Quadraten.
Es besteht keine Möglichkeit, sich während der Ausführung durch Fragen oder visuell über den Stand der Arbeit zu orientieren.
3. Der Projekt-Ablauf
Montag, 25. Juni 2001, ab 17 Uhr: 1. Aktion
Giovanni Di Stefano versucht, innerhalb von maximal 6 h 40′ mit verbundenen Augen eine Leinwandfläche von 2 x 2 Metern mit 400 Quadraten zu übermalen. Das Bild wird aufgehängt.
Dienstag, den 26. Juni 2001, ab 17 Uhr: 2. Aktion
6 ausgewählte Personen versuchen, innerhalb von maximal 36 Minuten mit verbundenen Augen je eine Leinwand von 60 x 60 cm mit 36 Quadraten zu übermalen. Die Bilder werden aufgehängt.
Mittwoch, den 27. Juni 2001, ab 17 Uhr: 3. Aktion
JedeR BesucherIn der Ausstellung kann auf Wunsch ein solches Bild (60×60) unter Anleitung von G. Di Stefano auf Leinwand verwirklichen. Die Bilder werden aufgehängt.
Donnerstag, den 28. Juni 2001, ab 17 Uhr: Vernissage & Finissage
Die BesucherInnen-Aktionen wird weitergeführt, und die Bilder werden fortlaufend aufgehängt.
II. Hinweise zu den Experimenten der blinden Malerei
Paradoxon der Spontaneität. 1982 entstand aus einer skeptischen Annäherung an die Lösung des Paradoxons der Spontaneität die Idee, ein Kunstwerk mit verbundenen Augen auszuführen.
Spontaneität der Fehler. Einem Künstler kann nicht befohlen werden, spontan zu sein. Er kann aber experimentell spontane Verhaltensweisen hervorrufen: G. Di Stefano stellt als Stimulus eine präzise und definierte Aufgabe. Bei der Aufgabenlösung entstehen unabsichtliche Abweichungen (von der Aufgabenstellung) – Fehler also, die unfreiwilliger Ausdruck des Ausführenden sind.
Blinde Malerei. Durch den Entzug sinnlicher Wahrnehmungsmöglichkeit bewirkt G. Di Stefano die Unmöglichkeit, volles Bewusstsein über das eigene Handeln zu haben. Dieses Vorgehen ist also nicht ein von okkulten Kräften inspiriertes Ereignis, sondern es besteht aus einer festgelegten, präzis gestellt Aufgabe, nach deren Ausführung es möglich ist, die Abweichungen, welche weder vorhersehbar noch wiederholbar sind, zu messen.
Unbewusster Ausdruck – nicht Zufall. Diese Unwillkürlichkeit und die Unvorhersehbarkeit lassen an Kunstbewegungen denken, die ins Zentrum ihrer Poetik den auf Zufall beruhenden Prozess stellen. G. Di Stefanos Reduktion auf das Minimum der Elemente gestattet jedoch jedem, der diese Methode kennt, eine Analyse der Bilder. Anhand der Resultate wird klar, dass ein solches Bild nicht Produkt einer unvorhersehbaren Entität – dem Zufall , sondern unbewusster Ausdruck des Ausführenden ist.
Kunst als Stimulus. G. Di Stefano schafft mit seiner Kunst einen Stimulus, der das Publikum auf der Ebene der Realität einbezieht: Alle können Ausführende sein. Es gibt keine „Spezialisten“. Die jeweilige Ausführung ist immer nur eine von vielen möglichen. Sie ist eine Aufforderung, selber diese Erfahrung zu machen. Das „Publikum“ muss nicht in virtuelle Welten eintauchen oder sich in Inhalte des Autors hineindenken, sondern drückt selber authentische Reaktionen aus, die von Person zu Person verschieden sind.
Die Schönheit im Fehler. Die Schönheit liegt im Verhältnis zwischen Künstler/Stimulus und Ausführendem/Antwort; sie deckt sich mit der psychischen Erfahrung desjenigen, der auf den Stimulus reagiert, während das Produkt nur den Wert einer Dokumentation hat. Je grösser der Unterschied zwischen den von verschiedenen Personen realisierten Ausführungen sein wird, desto grösser war die Wirksamkeit des Stimulus.
Das Kunstwerk besteht hier aus einem Ereignis, in welchem jeder aktive Kunstkonsument tiefe persönliche Inhalte manifestiert.
Das Ereignis also, nicht das Resultat, wird das wirkliche und eigentliche Werk sein.