Die Konstruktion des imaginären Raums
Giovanni Di Stefano
27.10. – 24. 11. 2018
Einführung Vernissage
Vor genau 10 Jahren zeigte Giovanni Di Stefano in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Alfred Knüsel innerhalb der Ausstellung „Konstellationen 08“ seine 48 Strappi: eine Performance mit 4 Mitwirkenden, in der Papier in vier Teile zerrissen wird, wobei naturgemäss individuelle Ungenauigkeiten entstehen, die als Ausdruck der Einzigartigkeit des ausführenden Menschen zu verstehen sind. Eine Aktion der Spontaneität, die, wie auch der Fehler, im Zentrum des bisherigen Werkes des Künstlers steht. Ich möchte in der Folge versuchen, dieses in Kürzestform, gewissermassen als Konzentrat des Konzentrats, zu erläutern.
Ich begrüsse Sie alle sehr herzlich, insbesondere das Künstlerpaar Giovanni Di Stefano und Michèle Salmony Di Stefano, die seit 10 Jahren zu unserem Haus gehören, damit inzwischen zum „harten Kern“. Jeweils mit eigenen Kunstformen.
Giovanni Di Stefano war in mehreren Gruppenausstellungen vertreten sowie drei Einzelausstellungen, einschliesslich der heutigen, deren Titel bereits richtungsweisend für die jeweilige Aufgabenstellung sind:
1. La perfezione dell’errore – 2. Rhythmus und Struktur – 3. Die Konstruktion des imaginären Raums
Giovanni Di Stefano ist ein forschender Künstler, dessen Denken in die Bereiche der Psychologie und Philosophie führt, wie auch seit mehreren Jahren in die Musik, hier experimentierend mit den Mitteln von Stimme und Elektronik. Daraus hervor ging das Duo m u g mit Michèle und Giovanni Di Stefano, das von Zeit zu Zeit zu hören ist, auch im Schweizer Radio. Zum erweiterten Instrumentarium gehören ferner Computer, Programmierungen zur Verformung der Live-Geräusche, Instrumente, Objekte und Geräuschkonserven.
Giovanni Di Stefano stammt aus Rom. 1982 schloss er sich der römischen Künstlergruppe der Eventualista an, die in den Sechzigerjahren zur italienischen Avantgarde gehörte. Die Gruppe entwickelte eine Kunsttheorie, aus deren strikten Regeln Kunstwerke entstehen. Sie lassen sich in 5 Punkten zusammenfassen:
1. Verzicht auf den persönlichen Ausdruck des Künstlers
2. Strukturalität, d.h. Verknüpfung neutraler Strukturen innerhalb eines Werkes.
3. Die Spontaneität, ein wesentliches Anliegen des Künstlers. Sie beinhaltet den Fehler, als Ausdruck der Persönlichkeit – der schöne Fehler, der glückliche Fehler !
4. Die Interaktion, d.h. der Stimulus durch den Künstlern und schliesslich
5. Das Ereignis: Im Moment der Reaktion manifestiert sich der unmanipulierte
Ausdruck der Persönlichkeit.
Auf alle diese Voraussetzungen werden Sie in der Ausstellung treffen.
Zum wichtigen Thema der Spontaneität stellte der Künstler in der Ausstellung 2009 „La perfezione dell’errore“ seine Arbeiten unter die folgenden 4 Begriffe:
Spontaneität – Experimente mit der blinden Malerei – Gedächtniskorrekturen – Gesten des Alltags.
Ich möchte ihn hier selbst zitieren:
„Im Zentrum der Kunst Giovanni Di Stefanos steht die Suche nach dem unverfälschten, spontanen Ausdruck der Persönlichkeit. Dabei stellt sich das Problem, dass Spontaneität nicht verordnet werden kann. Di Stefanos Lösung ist das Stellen einer ganz präzisen Aufgabe. Wer auch immer sich um eine exakte Erfüllung der gestellten Aufgabe bemüht, wird Fehler machen.
Diese Fehler sind das ästhetische Ereignis, denn sie sind unfreiwilliger, unmanipulierter Ausdruck der Persönlichkeit.“
Dieses wird erreicht in Experimenten mit der blinden Malerei, der Malerei mit verbundenen Augen, die eine hohe Anforderung an Gedächtnis und Konzentration stellt. Ihr gegenüber stehen die Arbeiten mit offenen Augen. Auch diese fordern die Erinnerung und zeigen, dass Wahrnehmung und Erinnerung kreative Akte sind.
Fazit: So wenig es angesichts einer „geregelten“ Kunsttheorie den Anschein hat, so wesentlich geht es darin um den Menschen selbst.
Soviel als Vorbereitung zur gegenwärtigen Ausstellung.
Die Ausstellung
Die Zusammenstellung der Werke entspringt einer Reflexion darüber, was Malerei ist. Voraus- setzungen sind: Ein Raum, eine zweidimensionale Oberfläche, Illusion der Dreidimensionalität.
1. Kellerraum. Thema: Übermalen einer Fläche F in einem Zeitraum Z
2 Bilder stehen auf Staffeleien. Auf Bild 1 wird eine in 4 Teile geteilte Leinwand mit gelber Leuchtfarbe übermalt, der Künstler versucht, freihändig in regelmässigen Abständen Klebeband aufzukleben. Sodann wird alles in 4 zeitlichen Abständen von 3 Minuten bis 30 Sekunden schwarz übermalt. Auf Bild 2 vollzieht sich der gleiche Vorgang, aber ohne die geklebte Struktur der Linien. Die Augen des Betrachters vergleichen nun die Bildunterschiede. Auf Bild 1 vibrieren die Linien. Es ist nicht mehr klar, wo der Fehler ist und wird zur optischen Täuschung.
2. Parterre:
– Flügelzimmer. Thema: Raum, Licht und Schatten, gestaltet in Papierarbeiten.
– Salon. Thema: Gedächtnis: Prova di Memoria, Incantesimi, Bomarzo 27 28 Settembre 1997
Es handelt sich hier um Wahrnehmung und Erinnerung, ein Stimulus-Bild des Künstlers, an dem 24 Personen mitwirken (einschliesslich des Künstlers selbst). Hier entwickelt sich ein Bild aus dem anderen heraus. Es ist ein Spiel mit der Imagination, unserer Erfahrung mit der Realität. Was wir produzieren entspricht nie der Realität und ist Ausdruck tiefster Persönlichkeit. Erinnerung ist nie präzise und ihre Fehler sind kreative Akte.
3. 1. Etage. Thema: Der durch Fehler oder durch Zufall geschaffene Raum
– Wir kommen zu den dArts und damit zum durch Fehler geschaffenen Raum. In einem Bild von 2015 durchqueren Linien den Bildraum. Sie sind verbunden durch gemeinsame Punkte, die von Dart-Pfeilwürfen gesetzt waren. Di Stefano hatte versucht, mit einem Pfeil 50 Holzschachteln in der Mitte zu treffen. Er machte Fehler und verband die Punkte, die die Pfeile gesetzt hatten mit den Ecken der Schachteln. Es entstand ein Netz. Damit unterteilte er die Räume, die vom Betrachter immer wieder anders wahrgenommen werden können. Der individuelle Fehler, nicht der Zufall schuf das Bild. Dazu entstand im Auftrag der Visarte ein Dokumentarfilm, der im Februar auch in Rom im Museo d’Arte Contemporanea Roma (MACRO) gezeigt werden wird. Dies im Rahmen einer Vortragsreihe der Gruppe der Eventualista: Underground, Eventualista, ricerca estetica in Italia 1970-2019; 7 incontri al Macro. In 2 weiteren kleineren Bildern, dArts a colori , sind die Räume durch Farben getrennt. Die Farbwahl entstand hier durch den Würfel nach aleatorischem Prinzip.
– Die Serie Perlin Noise. Der durch Zufall geschaffene Raum: Sie basiert auf einem Algorhythmus von Ken Perlin, USA, einem Informatiker und Professor der Universität New York, der die Bilder zufallsgesteuert generiert. Es handelt sich hier um ein Raster in 4-eckigen Formen, deren Abstände durch den Künstler verändert werden. Auch zu dessen Überraschung entstehen daraus interessante, neue Licht- und Schattenwirkungen.
Wie bereits erwähnt, ist in allen Bildern Di Stefanos immer eine menschliche Komponente vorhanden. Da ist zunächst ein Algorhythmus, den der Computer realisiert und druckt. Jedoch wäre dies noch ohne Sinn. Dann aber interpretiert das Publikum und wird in der Interaktion zum Teil des Gesamtprozesses. Wir haben es hier, mit Umberto Ecco gesagt, mit einem offenen Kunstwerk zu tun – UND, das möchte ich hinzufügen, mit einer Kunsttheorie, die alles andere als GRAU ist!
Ute Stoecklin, 20. Oktober 2018
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